Die deutschen Städte faszinieren meine Frau mich. Was uns oft auffällt, wenn wir in den verschiedenen Stadtteilen unterwegs sind: Uns begegnen dort Menschen, die in unserem Alltag so nicht vorkommen.
Sie sind anders als unsere Arbeitskollegen, unsere Freunde und die Menschen in unserer Gemeinde. Sie verwenden andere Wörter, tragen andere Kleidung, gehen anderen Alltagstätigkeiten und Hobbies nach. Auch begegnen sie sich untereinander auf eine andere Art und Weise und haben offensichtlich unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten.
Die feinen Unterschiede
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat diese Beobachtung, die in jeder modernen Gesellschaft mehr oder weniger vorzufinden ist, im Habitus-Konzept festgehalten. Menschen entscheiden sich nicht aktiv, einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (auch Milieus genannt) anzugehören und ihre Werte, Normen und Verhaltensweisen zu teilen, sondern sie werden hineingeboren. Damit werden die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen voneinander unterscheidbar. Und im Alltag gibt es Grenzen, die gegenseitig nicht überschritten werden. Man könnte auch sagen: Gleich und gleich gesellt sich gern.
Durch das Evangelium Grenzen überwinden
Das Evangelium hatte von Beginn an das Potenzial, die gesellschaftlichen Grenzen zu überwinden: Da saßen Sklaven und ihre Herren an einem Tisch. Sie feierten – beide erfüllt vom Heiligen Geist – gemeinsam das Herrnmahl. Der Sklave und der Freie: Vor Gott gleich, von Gott geliebt. Damals revolutionär und auch heute eine echte Chance. Welche weltliche Institution ist in der Lage, Menschen unterschiedlicher Milieus miteinander an einen Tisch zu bringen?
Die Gründung von neuen Gemeinden kann diese Chance nutzen: an einem neuen Ort mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Es müssen neue Bilder und Wörter gefunden werden, um Menschen, die eine andere Lebenswirklichkeit haben und andere (Lebens-)Fragen stellen, das Evangelium und seine zentralen Botschaften zu bringen.
Ich habe erlebt und es hat mich bereichert, dass unser Bund neue Gemeinden an den unterschiedlichen Orten gründet. In der Gemeindegründung, der ich mich vor mehr als 10 Jahren anschloss, habe ich miterlebt, dass Menschen unterschiedlicher Lebensstile, gesellschaftlicher Herkünfte und Biografien zum lebendigen Glauben an Jesus Christus kamen und gemeinsam unterwegs waren. Diese Erfahrung hat mich bis heute tief geprägt.
Offene Augen und Ohren
Zum Schluss möchte ich dich motivieren, folgendes kleines Experiment mal selbst auszuprobieren: Wenn du das nächste Mal in einem unbekannten Teil deines Wohnortes unterwegs bist, halte kurz inne und beobachte ganz bewusst die Menschen: Welche gesellschaftlichen Gruppen siehst du? Wie verhalten sie sich? Wie sprechen sie? Wie könnte ihr Alltag aussehen? Und was könnten ihre Fragen oder Träume sein? Wie könnte das Evangelium in ihr Leben sprechen? Viel Freude beim Experiment!
Andreas Scholz | Assistent FeG Inland-Mission | Gemeindegründung