Der Deutsch-Sizilianer Piero Scarfalloto ist Pastor des Kairos-Projektes in Haiger, das für internationale Menschen eine geistliche Heimat bieten möchte. Er hat seine Berufung darin gefunden, mit muslimischen Menschen zu arbeiten und ihnen die Liebe Gottes nahezubringen.
Der Name unserer Gründungsinitiative lautet „Kairos-Projekt“, sagt Pastor Piero Scarfalloto. „Kairos ist ein religiös-philosophischer Begriff für eine besondere Gelegenheit, die man nicht verpassen sollte. So einen besonderen Moment, in dem plötzlich Türen offen stehen, wollen wir nutzen, um internationale Menschen mit der Liebe Gottes zu erreichen und mit ihnen eine deutsch-internationale Gemeinde aufzubauen.“
KIRCHE FÜR INTERNATIONALE MENSCHEN
Der Start des Kairos-Projektes war im September 2017. Die Notwendigkeit dafür ergab sich für Piero, seine Frau Sarah und andere Christen aus Haiger und Umgebung aus folgender Schieflage: „Einerseits haben wir hier eine große multikulturelle Bevölkerung, die durch die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ nochmal gewachsen ist. Andererseits ist Haiger mit seinem Umland eine sehr fromme, pietistische Ecke. Die Gemeinden sind aber zu 99 % Prozent monokulturell, nämlich deutsch. Warum gibt es diesen Graben zwischen multikultureller Gesellschaft und monokulturellem Gemeindealltag? Warum ist es für unsere Kirchen und Gemeinden so schwer, Flüchtlinge, Einwanderer und Gastarbeiter zu erreichen bzw. auf lange Sicht in der Gemeinde zu halten? Wie muss eine Kirche aussehen, in der internationale Menschen eine Heimat finden und ihr Potenzial entfalten können?“
Mit diesen Fragen beschäftigte sich zunächst ein Initiativ-Team. Dazu gehörten Piero Scarfalloto und Akteure der Allianz-Mission e. V. und des Bundes FeG. Später bildete sich das sogenannte Starter-Team. Zu dem Zeitpunkt war Piero noch Jugendreferent der FeG Haiger. Die FeG Inland-Mission übernahm die Trägerschaft für die Gründungsinitiative. Das Projekt finanziert sich jedoch fast ausschließlich durch Spenden.
KIRCHE MIT MENSCHEN AUS ALLER WELT
Am 2. Dezember 2017 fand im Gemeindezentrum der FeG Haiger, deren Räumlichkeiten das Projekt nutzen kann, der erste Kairos-Gottesdienst statt. Piero berichtet: „Zu diesem Gottesdienst kamen rund 100 Erwachsene und 50 Kinder. 80 % der Gäste waren nicht-deutsch und davon ungefähr die Hälfte Muslime. Seither feiern wir jeden zweiten und vierten Samstagabend unsere Gottesdienste mit jeweils 90 bis 120 Erwachsenen plus Kinder. Wir haben den Samstagabend gewählt, um nicht in Konkurrenz zu den Sonntagsgottesdiensten anderer Gemeinden zu treten.“
Für Pastor Scarfalloto ist es wichtig zu erwähnen, dass die vielen internationalen Gottesdienstteilnehmer nicht aus dem Nichts gekommen sind. „Wir hatten bereits vorher zu Migranten Vertrauen und Beziehungen aufgebaut. Über die sozial-diakonische Arbeit AMIN haben viele von uns den Migranten schon gedient – mit Deutschunterricht, Behördengängen … Die Leute kannten uns schon gut, bevor sie in die Gottesdienste kamen.“
Wer zu einem Kairos-Gottesdienst kommt, sieht gleich im Foyer siebensprachig: „Gottesdienst in deiner Sprache .“ Kairos möchte auch die Integration fördern, deshalb ist Deutsch die Basissprache. Übersetzungen werden derzeit auf Arabisch, Persisch, Kurdisch, Türkisch, Rumänisch, Englisch und Französisch angeboten. Auch die Musik ist international, bei den Zeugnissen sollen möglichst viele Migranten selbst zu Wort kommen. „Wir wollen Kirche MIT Menschen aus aller Welt sein“, betont Piero. „Das wirkt sich auch aus auf Leitungsaufgaben. Wer unsere Vision teilt und geistlich die entsprechende Reife hat, kann verantwortlich mitarbeiten – die pfingstlich geprägte Christin aus Nigeria genauso wie der Iraker mit orthodox-christlichem Background. Unser Kernteam denkt nicht konfessionell. Natürlich haben wir unsere FeG-Identität. Aber wir alle wissen: Gottes Herde ist größer!“
DAS BESTE AUS JEDER KULTUR EINBRINGEN
Der Pastor lernt, in seinem Dienst neue Wege zu gehen. „Für Afrikaner und Orientalen ist es hilfreich, die Predigt narrativ zu halten, dabei auch persönlich zu werden. Mit dogmatischen Predigten erreichen wir die Leute nicht. Außerdem haben wir verstanden, dass Liturgie in Teilen hilfreich ist. Gerade für die Leute aus dem Orient muss Kirche auch ‚sakral‘ sein. Ohne Ehrfurcht vor dem Heiligen Gott empfinden viele Migranten Kirche eher als ‚Club‘. Andererseits bedeutet für Afrikaner ein gelungener Gottesdienst auch ‚Bongos und Party‘. Wir versuchen bei Kairos, dass jeder das Beste aus seiner Kultur einbringen kann. Und wir arbeiten nicht programmorientiert, sondern bemühen uns, Gemeinde als internationale Familie zu leben. Deshalb gibt es nach jedem Gottesdienst ein gemeinsames ‚bring&share‘-Essen. Und es ist unser Ziel, in allen Sprachen Kleingruppen anzubieten.“
DEUTSCH-SIZILIANER UNTER MUSLIMEN
Pieros Leidenschaft für eine deutsch-internationale Kirche und seine Flexibilität in der praktischen Arbeit erklären sich vielleicht auch durch seine Biografie. Er wurde vor 33 Jahren in Haiger geboren. Seine Mutter stammt aus der Gegend, sein Vater ist ein sizilianischer Gastarbeiter, der dann aus Liebe in Haiger ein neues Zuhause fand. „Meine Eltern waren katholisch und haben mir evangelikale Frömmigkeit vorgelebt. Deshalb ist der Gott der Bibel für mich von klein auf Realität gewesen, die enge Beziehung zu ihm auch. Während meiner Grundschulzeit wurden meine Eltern Mitglieder einer offenen Brüdergemeinde. Dort habe ich mich schon früh engagiert und die Jugendarbeit aufgebaut.“ Nach dem Abitur ging Piero für ein Jahr zur Bundeswehr und besuchte dann das Marburger Bibelseminar. Er machte seinen Abschluss als Erzieher und Jugendreferent. Im Jahr 2010 wurde er nicht nur Jugendreferent der FeG Haiger, sondern heiratete auch seine Jugendliebe Sarah. Parallel zu seiner Arbeit studierte Piero am Institut für Transformationsstudien (ITS) in Kassel und schloss mit seiner Masterarbeit zum Themenfeld „Mission und Muslime“ ab.
Schon damals sagte er im Seniorenkreis der Gemeinde: „Meine aktuelle Leidenschaft ist die Jugendarbeit. Aber ich glaube, dass ich eines Tages mal unter Muslimen arbeiten werde.“ Damals hatte er keine Idee, wie das Realität werden könnte, ohne Missionar im Ausland zu werden. Durch Kairos hat diese Berufung Gestalt angenommen.
GASTFREUNDLICHE CHRISTEN GESUCHT
Vor drei Jahren ist aus dem Ehepaar Scarfalloto eine Familie geworden. 2016 wurde ihre Tochter, 2018 der Sohn geboren. „So eine Gründungsinitiative, die Gemeinde als internationale Familie versteht, fordert das eigene Familienleben natürlich schon sehr heraus“, sagt Piero. „Früher war es kein Problem, sich gegen Mitternacht noch mit anderen bei ‚Mäckes‘ oder so zu treffen. Und gerade für unsere muslimischen Gottesdienstbesucher, die ohnehin aus sehr gemeinschaftsorientierten Kulturen kommen, ist so eine Flexibilität wichtig. Genauso auch für unsere Asylbewerber, die z. T. ganz allein hier sind und sich nach Familie sehnen. Wir beten für Christen mit einem Herz für Gastfreundschaft, die uns in unserem Dienst unterstützen. Fitte Rentner sind zum Beispiel super! Gerade unsere Internationalen, die ganz frisch Christen geworden sind, brauchen Paten. Wir wollen ‚Kairos‘ – diesen besonderen Moment – nutzen, solange die Tür offen ist.“
Von Annekatrin Warnke | Diese Story ist in CHRISTSEIN HEUTE erschienen.
